Geselligkeit und Politik

am 20.03.24 zuerst erschienen auf ortederdemokratisierung

„Der Salmen“, „Zur Blume“, „Zum grünen Berg“, und das „Gasthaus Krone“ verbinden sich auf diesem Blog mit den Schauplätzen der Revolution 1948/49. Kein Wunder, dass sich also eine Revolutionsforderung auch auf die Gaststätte bezog.

Zwischen Gasthof und Gasstätte wird mal unterschieden, mal scheint es dasselbe zu sein. Gemeinsam ist der sofortige Verzehr von Speisen und Getränken. Die Macher:innen der Sonderausstellung „Die Rolle der Wirtshäuser zu Beginn der Badischen Revolution 1848“ stellten den Aspekt der Gasthäuser als Nachrichtenumschlagplatz und als Ort der freien Rede in den Vordergrund.

„Bedingt durch den hohen Alphabetisierungsgrad unter Gastwirten sind schon in der frühen Neuzeit Zeitungen und Flugblätter häufig in Wirtshäusern zu finden. Im Vormärz werden Wirtshäuser als halböffentliche Orte zu geschützten Räumen für die bürgerliche politische Debatte.“

Ausstellungstafel „Trinken, lesen, debattieren“

Angesichts dieser wichtigen Funktion, die einen längeren Aufenthalt in den Gasträumen erforderten, wundert es nicht, dass sich eine Forderung auch auf diese Örtlichkeit bezog: das Rauchverbot aufzuheben.

Da die Tabaksucht klassenübergreifend ist, sahen die Behörden das öffentliche Rauchen nicht gerne. Das gegenseitige Feuer geben und um eine Zigarette bitten, „ist in guten Momenten nicht nur eine Art Kippenkommunismus“. Die Zigarre, die damals neu war, wurde als Tabakware der Radikalen, „als Ausdruck bürgerlicher Freiheitskämpfe und revolutionärer Umtriebe [betrachtet]. Zu den passionierten Zigarrenrauchern gehörte deshalb auch kein Geringerer als Karl Marx.“ Den Rauchern gönnte man jedoch ein Trostpflaster. „Wenngleich der deutsche demokratische Frühling damals nur kurz währte, hatte er doch immerhin einen entscheidenden Erfolg. Die Behörden gaben dem Druck der Straße nach und hoben das Rauchverbot 1848 auf.“

Gesellige und politische Zusammenkünfte

Karl Kautsky hob in seiner Erörterung zum Alkoholismus („Der Alkoholismus und seine Bekämpfung“) die enorme Wichtigkeit der Gaststätte für die innerparteiliche Diskussion gerade auch unter dem Sozialistengesetz hervor.

„Lokale, Kneipen und Wirtshäuser [waren] zumeist die einzigen Orte öffentlicher Freizeitkultur, für die Arbeiter Zentren der Kommunikation und Begegnung, in denen der Alkoholkonsum lediglich zu einem Vergnügen unter vielen zählte – neben Zeitungslektüre, Tanzveranstaltungen, Theatervorstellungen, Konzertabenden, Übungsstunden von Gesang- und Turnvereinen.“

Erinnerungsorte der Sozialdemokratie. Parteilokal
(https://erinnerungsorte.fes.de/parteilokal/ )

Da es den Arbeiter:innen aufgrund ihrer Wohnsituation nicht möglich sei, nachhause einzuladen, war die Gaststätte der Ausweichort (vgl., Kautsky, Die neue Zeit, 1890/91, Nr 5. 30, S, 106). Er ging sogar so weit zu behaupten, dass ohne die Gaststätten zu schließen ein Sozialistengesetz keinen Sinn mache. „Ohne Wirtshaus gibt es für den deutschen Proletarier nicht blos kein geselliges, sondern auch kein politisches Leben.“ (Ebd.)

Aber natürlich ist nicht jede:r Kneipengänger:in automatisch politisch „fortschrittlich“. Gerade in der politischen Rede ist „Stammtisch“ und die „Hoheit“ über ihn, ein Synonym für die Gaststätte. „Der Stammtisch war immer ein politischer Ort, […]. Und er sei auch immer schon ein widersprüchlicher politischer Ort gewesen. So sei er einerseits durchaus Rekrutierungsstätte der Nationalsozialisten gewesen, andererseits fürchteten sie ihn von Anfang an als Brutstätte von Kommunismus und Opposition.“ (Christoph Spittler: Stammtische. Eine Tour durch deutsche Kneipen).

Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, so manch ein lokalpolitisches Treffen fand in der Kneipe statt und fast jedes Treffen des Bonner Hochschulparlaments um die Jahrtausendwende endete nach der Sitzung überfraktionell beim Bier. Und heute?

Die Epoche des Kneipensterbens

Individualisierung des Freizeitverhaltens, Ampel-Steuern, Corona, Rauchverbot. Wer das Stichwort Kneipensterben googelt, stößt auf eine Menge Gründe für das Schließen der Lokale. Bereits 2012 wies das Onlineportal der Funke Mediengruppe, „Der Westen“, darauf hin, dass in den Nuller-Jahren „jede vierte Kneipe“ dicht gemacht hat. Die Redaktion übernahm zur Erklärung die Position der DEHOGA: „Branchenvertreter führten die Rückgänge unter anderem auf die starke Konkurrenz durch Vereine zurück. „Es gebe eine ‚Wettbewerbsverzerrung‘, weil in vielen Vereinsheimen inzwischen ein beinahe professioneller Barbetrieb herrsche“.

Obwohl alle Thesen ihre Plausibilität haben, war eine ähnliche Verlagerung unserer Hochschulgruppe am Fernbleiben von der Gaststätte schuld. Ein eigenes Büro und Getränke hat den Kneipengang erübrigt, schließlich ist der Kneipenbesuch neben der logistischen (wie komme ich nachhause) auch eine Geldfrage. Der zweite Grund, den man bis heute im Netz häufig findet, der zum Rückgang der Einkehr führte, war das Rauchverbot. Niemand hat Lust eine gesellige Runde oder eine Diskussion zu verlassen, um vor der Tür eine ungemütliche Zigarette zu rauchen. Die so geplagte Raucher:in muss dann womöglich auch noch neben dem einzigen übervollen Aschenbecher lesen, die Raucher:in solle bitte auf die Nachbar:innen Rücksicht nehmen und leise sein.

„Früher oder später werden wir als letztes Erbe der 48er-Revolution auch die Rauchfreiheit überwunden haben“, spottete Karl Rawek in der ZEIT doppeldeutig. Die Kneipe als Ort der Diskussionskultur und politischen Bildung war auf jeden Fall ein Ort der Demokratisierung und sollte es auch wieder werden. Aber dazu bedarf es eines Ortes der „geselligen und politischen Zusammenkünfte“ für alle.

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