Der Freitag weist heute auf seinem Titel auf einen Beitrag von „Slavoj Zizek über Assange, Snowden und Co.“ auf seiner Internetseite hin. Nun verkörpert Zizek medial die Popvariante des modernen Linksintellektuellen, oder den „Elvis der Kulturtheorie“, wie eine Doku ihn im Untertitel nennt. Entsprechend gespannt habe ich die Seite aufgerufen und wollte was Überraschendes lesen. Nun ist sein Artikel der x-te, der sich mit dem Thema befasst, alleine wenn man sich die Blogosphäre anschaut.
Das tatsächlich Erstaunliche war aber das Marxzitat, dass Zizek sich für diesen Artikel aussuchte. Marx im Zusammenhang mit Presse- und Informationsfreiheit zu zitieren, wäre naheliegende gewesen. „Nichts ist daher verkehrter als, wenn es sich um ein besonderes Dasein der Freiheit handelt, zu meinen, dieses sei eine besondere Frage. Es ist die allgemeine Frage innerhalb einer besonderen Sphäre. Freiheit bleibt Freiheit, drücke sie sich nun in der Druckerschwärze, oder in Grund und Boden, oder im Gewissen, oder in einer politischen Versammlung aus.“ (77) Unter anderem bezog er dies auch auf die Umstände und Notwendigkeit des politischen Kampfes. „Und ohne Pressfreiheit, Vereins- und Versammlungsrecht ist keine Arbeiterbewegung möglich“ (Engels). Zizek zitiert: „Man muß den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller macht, indem man sie publiziert.“ Die Kombination von „wirklichen“ politischen Druck und publizistischer Arbeit verbinden sich bei Marx. „Wir haben von Snowden (oder Manning) eigentlich nichts erfahren, von dem wir nicht ohnehin schon ausgegangen waren. Es ist aber eine Sache, etwas grundsätzlich zu wissen, und eine andere, die konkreten Tatsachen präsentiert zu bekommen. Ein bisschen ist es so, als wüsste man, dass der eigene Partner sich auch noch anderweitig vergnügt, das abstrakte Wissen kann man akzeptieren. Richtig weh tut es, wenn man die heißen Details vor sich hat, Bilder von dem, was gelaufen ist.“ Während Marx und Engels die Bedingung und Strategie des politischen Kampfes reflektiert, sieht es bei Zizek so aus, als ob paranoide Linke nun bestätigt bekommen hätten, dass big brother existiert – was als Erkenntnisgewinn ein wenig dürftig ist. Daraus lässt sich aber noch keine Strategie gewinnen. Vielleicht aber erklärt diese Aussage, warum die Linke sich ein wenig schwer tut mit dem Thema Netzpolitik. Schließlich wird nur bestätigt, was man immer schon ahnte. Vielleicht aber ist, wie auch bei den Liberalen, das Bewusstsein dafür verschwunden, dass es um die Bedingungen der eigenen der politischen Arbeit geht. Der Klou ist, dass Zizek nicht die Einengung der Privatssphäre durch die Datenüberwachung der Staaten kritisiert, denn die sieht er aufgrund der Datenmenge gar nicht dazu in der Lage. „Trotz aller komplizierten Programme zur Entdeckung verdächtiger Nachrichten sind Computer, die Milliarden Daten speichern, zu stupide, diese ordentlich zu auszuwerten“, urteilt er. Ob dies als Bilanz ausreichend ist, scheint mir fragwürdig, und wenn dies momentan zuträfe, muss dies nicht so bleiben. „Wir sollten Angst davor haben, keine Geheimnisse zu haben – davor, dass geheime staatliche Behörden alles wissen. Noch mehr Angst sollten wir aber davor haben, dass sie in diesem Bemühen scheitern.“ Warum? Zizek suggeriert durch einen Vergleich, dass man vielleicht feststellen würde, dass die eigenen Geheimnisse vielleicht gar nicht relevant wären, doch genau darum geht es gar nicht. Es geht nicht darum, ob er/sie ein politisch relevantes Geheimnis hat oder der/die nächste seine Liebe zu seinem Teddy verschweigt. Und selbst wenn es so wäre, das Wesen des Geheimnisses ist, dass ich entscheide, ob und mit wem ich es teile. Es geht aber darum, dass aus den Meta- und Verbindungsdaten Rückschlüsse gezogen werden, mit wem ich sozial und virtuell kommuniziere. Indirekt lassen sich daraus Rückschlüsse auf Inhalte ziehen, doch es geht um die sozialen Beziehungen, in die ich gebettet bin. Zizeks tendenziell positive Auffassung des Staates, kann umschlagen, und deshalb seien die Whistleblower wichtig, denn „sie prangern die staatlichen Behörden selbst an, wenn diese versuchen, ‚privaten Gebrauch von der Vernunft‘ zu machen.“ Und dieser Bereich des Gebrauchs der „privaten“ Vernunft, die durch besondere Interessen eingeschränkt wird, ist der Bereich staatlichen Handelns. Und weil Whistleblower den Staat vor sich selbst schützen, indem sie eingreifen, wenn er „versucht“ zu sehr in einer negativen Weise zu agieren, sind Zizek wichtig. „Wir brauchen ein neues internationales Netzwerk, um den Schutz von Whistleblowern zu organisieren und ihre Botschaft zu verbreiten. Sie sind unsere Helden, weil sie beweisen: Wenn diejenigen mit der Macht es können, können wir es auch.“ Ach so. Der Adressat der gegenwärtigen Krise der Öffentlichkeit, ist aber nicht der Staat, sondern die Gesellschaft. Erst wenn diese den Rahmen ihres Interagierens selbst als eigenen schützenswerten sozialen Raum (Öffentlichkeit) versteht, in dem wir uns täglich bewegen, wird sich dessen Stellenwert verändern. Daher gehört der Schutz und die Gestaltung unserer Städte, in denen nicht-kommerzielle soziale Begegnungsorte nach und nach verschwinden und öffentliche Fußgängerzonen in private Mals verlagert werden, zum gleichen Streitgegenstand, wie der Schutz der Bewegungsfreiheit im Internet. „Еs ist die allgemeine Frage innerhalb einer besonderen Sphäre“, um nochmal das obige Marx-Wort zu bemühen.