Staatsraison

Staatsraison: „S. ist ein Prinzip, das die Interessen des Staates über alle anderen (partikularen oder individuellen) Interessen stellt. […]. Das Prinzip der S. wird heute noch von autoritären Regimen gepflegt. Quelle: Schubert, Klaus/Martina Klein: Das Politiklexikon. 7., aktual. u. erw. Aufl. Bonn: Dietz 2020. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Es ist momentan viel von der deutschen Staatsräson zu lesen, da Israel sich in Gaza im Krieg befindet. Auch innenpolitisch fällt der Begriff zurzeit häufig. Das Berliner Landesamt für Einwanderung argumentiert gegenüber einem in Syrien geborenen Palästinenser in seinem Bescheid zu einem Betätigungsverbot im Zusammenhang mit dem Berliner Palästina-Kongress mit ihm:

„Die Bundesrepublik Deutschland ist dem Schutz des Staates Israel auf Grund seiner Geschichte besonders verpflichtet; dieses Ziel gehört zur deutschen Staatsräson.“

(zitiert nach Ambos, Kai: Scharfgestellte Staatsräson: Zum Umgang deutscher Sicherheitsbehörden mit dem Berliner „Palästina-Kongress“, VerfBlog,2024/5/02).

Ist von der deutschen Staatsraison die Rede, beruft man sich häufig auf die Reden der damaligen Bundeskanzlerin Merkel, die Deutschlands Beziehung zu Israel vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York und 2008 vor der Knesset erklärte. Rolf Mützenich fragte in einer Anfrage seine Regierung nach den Folgen der Staatsräson für die Gesetzgebung durch das Parlament. Staatssekretärin Emily Haber antwortete am 19. Juni 2012 darauf:

„Es handelt sich dabei um eine politische Aussage, die aus der Richtlinienkompetenz der Bundeskanzlerin entspringt. Die Rechte des Deutschen Bundestages sind hiervon unberührt.“

Schriftliche Fragen mit den in der Woche vom 18. Juni 2012 eingegangenen Antworten der Bundesregierung, Deutscher Bundestag, 17. Wahlperiode, Drucksache 17/10050 vom 22. 06. 2012, S. 2.

Die Staatsräson entpuppt sich als Richtlinie, durch die ein „Rahmen aufgespannt, mit dem alle bereits existierenden Grundentscheidungen der deutschen Israelpolitik zum wiederholten Male bekräftigt und programmatisch überwölbt worden seien.“ (WD 1 – 3000 – 024/23, S.19) „Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson“ haben die drei aktuellen Regierungsparteien in ihren Koalitionsvertrag (S. 155) geschrieben.

Zu Beginn der 2000er Jahre wurde als Reaktion auf antisemitische Anschläge ein handhabbarer Antisemitismusbegriff gesucht. Das European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC), einige jüdische Organisationen und die OSZE erarbeiteten gemeinsam eine Definition von Antisemitismus, die 2005 schließlich als «Arbeitsdefinition Antisemitismus» online ging. Obwohl die EUMC sie schließlich im Zuge einer „Dokumentenbereinigung“ wieder offline stellte, wurde die Definition 2015 vom Ausschuss für Antisemitismus und Holocaustleugnung der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA, deutsch: Internationale Allianz zum Holocaustgedenken) empfohlen. Daraufhin verabschiedete „die IHRA-Tagung im Jahr 2016 die «Arbeitsdefinition Antisemitismus» […] und gab damit den Startschuss für eine verstärkte Nutzung der Definition, vor allem in den IHRA-Mitgliedsstaaten.“ (Peter Ullrich: Gutachten zur «Arbeitsdefinition Antisemitismus» der International Holocaust Remembrance Alliance, S.7).

Obwohl er durchaus auch positive Elemente in ihr herausgearbeitet hat, kommt Ullrich zu einem ernsten und bedenkenswerten Urteil:

„Vor allem aufgrund ihrer handwerklichen Schwächen, ihrer defizitären Anwendungspraxis, ihres trotzdem teilweise verbindlichen rechtlichen Status und ihrer politischen Instrumentalisierbarkeit mit problematischen Implikationen für die Meinungsfreiheit kann die Verwendung der «Arbeitsdefinition Antisemitismus» nicht empfohlen werden.“ (17)

Peter Ullrich: Gutachten zur «Arbeitsdefinition Antisemitismus» der International Holocaust Remembrance Alliance, PAPERS 2/2019, hrsg von der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Obwohl eine Arbeitsdefinition darauf harrt, zu einer (end)gültigen Definition fortgeschrieben zu werden, „findet […] keine Weiterentwicklung der Definition statt, um diese Schwächen zu beheben.“ (S.3) Außerdem stellt Ullrich fest, dass sie lediglich eine „Fiktion eines kriteriengeleiteten, objektiven Beurteilens“ darstellt. In ihrer Anwendung setzte sie aber Kriterien voraus, die nicht genannt werden. (S.7) Das Versprechen der Orientierung werde von ihr nicht gehalten. „Stattdessen ist sie faktisch ein zu Willkür geradezu einladendes Instrument. Dieses kann genutzt werden, um Grundrechte, insbesondere die Meinungsfreiheit, in Bezug auf missliebige israelbezogene Positionen zu beschneiden.“ (Eigene Hervh., S.7)

Dies geschieht vor allem durch die Beispiele, die die Definition erweitern und ergänzen. Dabei hält der Nahostkonflikt in sieben und von elf Beispielen als Vorlage her, wodurch die Anzahl der Positionen zum Nahost-Konflikt deutlich eingeschränkt werden. Die Bundesregierung ergänzte, laut Amadeu Antonio Stiftung, die Beispiele mit einem „Satz zur Bekämpfung des israelbezogenen Antisemitismus:
«Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.» Der Bundestag begrüßte die Entscheidung der Regierung im Rahmen eines Antrags vom Januar 2018.“ (Amadeu Antonio Stiftung (Hrsg.): Zivilgesellschaftliches Lagebild Antisemitismus 2021. 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland, 2021, S.58)

Im Jahr 2019 berief man sich in einem überfraktionellen Antrag 19/10191 zur „Boycott, Divestment and Sanctions“-Bewegung (abgekürzt BDS) ausdrücklich auf die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“. Man hätte den Antrag auch ohne die Bezugnahme auf die Definition verfassen können, etwa durch den Verweis auf die deutsche Geschichte, wie im Antrag der Fraktion DIE LINKE , doch die Definition verlieh dem Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Legitimität wie auch der Verweis auf die „Staatsraison“ (S.1). Die Beispiele der Arbeitsdefinition erlaubten es die Förderung durch den Bundestag an die Positionierung zum Krieg zwischen Israelis und den Palästinenser:innen zu knüpfen. Außerdem rief der Bundestag alle „Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure“ dazu auf, „sich dieser Haltung anzuschließen.“ In der Bundesrepublik etablierte sich die Definition in den verschiedenen politischen Körperschaften und staatliche Stellen „durch Annahme, Kenntnisnahme oder «Indossierung» (so die Formulierung der deutschen Bundesregierung)[…] die zudem die Verwendung für nachgeordnete Behörden empfehlen oder vorschreiben und sie operativ nutzen.“ (S.8)

Im Antrag und in öffentlichen Stellungnahmen wurde dem Teil der Zivilgesellschaft, der durch öffentliche Mittel (mit)gefördert wird, gedroht, die Mittel würden abgezogen, sollte eine Sympathie für die BDS bestehen. Allerdings gab die Bundesregierung auf Anfrage der FDP die Auskunft, dass ihr „keine Erkenntnisse vorliegen, die nach dem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 die Beendigung einer laufenden Förderung erforderlich machten.“ (S. 32)

Ein weiterer Konflikt, der sich aus der Staatsraison ergibt, ist ein außenpolitischer. Als der Chefankläger des Internationale Strafgerichtshofs (IStGH) Karim Khan sowohl gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant und Hamas-Führer Yahya Sinwar einen Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit beantragte, geriet die Bundesrepublik in eine Zwickmühle. Auf der einen Seite gebietet der deutsch-israelische Beistandspakt sich auf die Seite des israelischen Politikers zu schlagen. Andererseits ist die Bundesrepublik Mitglied des IStGH und müsste den Politiker verhaften lassen, sollten sie nach Deutschland reisen. Der Spiegel befragte zu dem Thema den bereits oben eingeführten Professor für nationales und internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Völkerrecht an der Universität Göttingen Kai Ambos.

Auf die Frage, wie Deutschland regieren solle, sollte der Haftbefehl tatsächlich erlassen werden und Netanyahu auf Staatsbesuch kommen, reagierte Ambos erstaunt. „Und nun soll die sogenannte deutsche Staatsräson, ein rein politisches Konzept, das Völkerstrafrecht verdrängen?“ Wieder steht politische Absicht dem Recht gegenüber und es scheint, als ob die veröffentlichte Meinung geneigt sei, der politischen Willenserklärung den Vorzug zu geben. Für den Juristen ist die Lage jedoch eindeutig. „Deutschland ist zur Kooperation mit dem IStGH verpflichtet. Missachtet es diese Pflicht, kann der IStGH eine Völkerrechtsverletzung Deutschlands feststellen. Die Staatenversammlung des IStGH könnte Sanktionen gegen Deutschland beschließen.“ Die Haftbefehle müssen allerdings erst noch durch die Richter des IStGH bestätigt und erlassen werden.

Erschütterungen

Am 7. Oktober 23 griff die Hamas Israel an. Selbst Monate später ist die Zahl der israelischen Toten unerträglich hoch: 1.139 Menschen. Nach dem 7. Oktober war alles anders, wird es irgendwann heißen.

Dies galt für die Israelis und für die Palästinenser:innen, die in der Folge selbst angegriffen wurden und unzählige Tote zu erleiden haben, aber auch für viele andere Gesellschaften jenseits dieses kleinen Streifens Landes, der offenbar nichts anderes als Leid hervorbringt. Und wir alle müssen uns wieder auf den Gedanken besinnen, den Düzen Tekkal so klar formuliert hat:

„Wir müssen verstehen, dass Freiheit und Sicherheit für die Palästinenser “vom Fluss bis zum Meer” davon abhängen, ob Jüdinnen und Juden auf demselben Landstrich in Freiheit und Sicherheit leben können. Die Schicksale beider Bevölkerungsgruppen sind untrennbar miteinander verwoben. Niemand darf nirgendwo hin vertrieben werden.“

Düzen Tekkal auf Linkedin.com

Jüngste Debatten

Nach Auskunft der Berliner Kulturverwaltung war die Debatte um Antisemitismus auf der documenta XV mit ausschlaggebend dafür, dass der Kultursenator eine Antisemitismusklausel in die Förderrichtlinien des Landes Berlin aufnehmen wollte. Auf dem Banner People’s Justice (2002) des Kollektivs Taring Padi fanden sich stereotype Darstellungen, die als antisemitisch gelesen wurden. Das Künstlerkollektiv ruangrupa, das die künstlerische Leitung der documenta fifteen übernommen hatte, erklärte zu den Vorwürfen:

„Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik […] Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen. Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird.“

Pressemitteilung: Verdeckung einer Arbeit von Taring Padi auf der documenta fifteen vom 20.6.2022.

Die Verantwortlichen und Mitarbeiter:innen der Bildungsstätte Anne Frank, die sich aktiv an der Debatte beteiligt hatten und unter anderem mit den Documenta-Besucher:innen und den Verantwortlichen diskutiert hatten, erklärten rückblickend auf ihrer Internetseite dazu:

„Rund um internationale Kulturveranstaltungen werden erbitterte Auseinandersetzungen geführt zwischen Vertreter*innen postkolonialer, rassismuskritischer Positionen und Palästina-Solidarität auf der einen und Vertreter*innen von Antisemitismuskritik und Israel-Solidarität auf der anderen Seite.“

Bildungsstätte Anne Frank: Antisemitismus im Kulturbetrieb: Zum Antisemitismusskandal auf der documenta fifteen

Im Januar 2024 veröffentlichte die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt folgende Meldung:

„Alle potentiellen Zuwendungsempfängerinnen und –empfänger bekennen sich damit zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung.“

Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt führt Antidiskriminierungsklausel ein. Pressemitteilung vom 04.01.2024.

Die Verbände erhoben gegen die Maßnahme Einspruch und warfen dem Senator vor, es werde „ein gefährlicher Präzedenzfall der Gesinnungsprüfung von Einzelpersonen geschaffen, die womöglich eine auf Dauer angelegte Überprüfungspflicht nach sich zieht“ (zitiert nach taz.de: Viel Lärm mit Ablenkung, vom 8. 1. 2024).

Nachdem die Widersprüche zu groß wurde, musste Senator Joe Chialo (CDU) seine Klausel wieder kassieren. Als Reaktion auf Äußerungen verschiedener Berlinale Preisträger:innen zum Krieg in Gaza flammte die Debatte wieder auf und die Berliner CDU beschloss in einem Antrag, dass für „freie Träger, Initiativen und Vereine in Kultur und Zivilgesellschaft, die sich offen antisemitisch äußern oder mit solchen kooperieren, die sich antisemitisch äußern, keine staatlichen Förderungen mehr vergeben werden.“

Als Grundlage des Senats benennt die taz die Definition der IHRA, die «Arbeitsdefinition Antisemitismus», während dies bei dem Beschluss der CDU nicht deutlich wird. Sie will das Strafgesetzbuch ändern, jüdische Student:innen durch die Novelle des Hochschulgesetzes schützen, Schüler:innen durch politische und historische Bildung stärken und die Grundlage der Einbürgerung ergänzen. „Das glaubhafte Bekenntnis zum Existenzrecht Israels als Ausprägung deutscher Staatsräson ist für uns Voraussetzung für die Einbürgerung.“ Und so würde der israelbezogene Antisemitismus der Arbeitsdefintion mit Hinweis auf die Definition doch noch zur Gesetzeskraft erhalten.

„Ein Berliner CDU-Stadtrat hat in der Hauptstadt kürzlich zwei Mädchentreffs mit sofortiger Wirkung schließen lassen und drei Leiterinnen fristlos gekündigt. Der Grund: die Leiterinnen sollen an Pro-Palästina-Mahnwachen, die durch die Polizei aufgelöst wurden, teilgenommen und sich mehrmals „israelfeindlich“ geäußert haben, so der Vorwurf.“ So beginnt Daniel Bax seine taz-Artikel.

Im Zuge dieser Affäre wurde Shokoofeh Montazeri im Speziellen wurde vorgeworfen, „diverse Pro-Palästina-Äußerungen und zugleich antisemitischen und antizionistische Aussagen gegenüber Israel“ getätigt zu haben. Außerdem würde sie als Rednerin „auf diesem (eigene Hervh.) «Palästinakongress»“ angekündigt. Jener Kongress, der fünf Tage vor dem Verfassen des Kündigungsschreiben von Bezirksstadtrat Max Kindler „mit massivem Polizeiaufgebot abgebrochen“ wurde. „»Mein Panelthema wäre eine Kritik der feministischen Außenpolitik gewesen«, betont Shokoofeh. In ihrem Vortrag hätte es um die Entlarvung des bürgerlichen Moralismus gehen sollen“, erzählte Montazeri der JACOBIN-Kolumnistin Simin Jawabreh.

„In der Hauptstadt wird die Staatsräson besonders konsequent durchgesetzt“ schreibt Bax in der taz. „Am Wochenende nahmen rund 150 Menschen an einer unangemeldeten Protestkundgebung vor der Humboldt-Universität teil, gegen 37 von ihnen leitete die Polizei anschließend ein Ermittlungsverfahren ein.“

Vorab, weder die Kritik an der Staatsraison noch bei der Kritik an der „Antisemitismusdefinition“ ging es mir um eine Kritik an der Verantwortung, die sich aus der deutschen Geschichte ergibt. Man kann aber auch nicht davon absehen, dass sich Isreal permanent in einem Konfliktt befindet und entsprechend handelt genauso wie die Palästinänser:innen. Doch der Umstand, dass der Ankläger des IStGH sowohl gegen den israelischen Premierminister als auch gegen den Hamasführer Haftbefehl beantragt hat, scheint dies zu belegen. „Es geht hier um die rein forensische Frage, ob die der Anklagebehörde vorliegenden Beweise den Vorwurf bestimmter Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen tragen. Das ist eine juristisch-faktische, keine politische Frage“, erklärte Ambos dem Spiegel. Und er geht im späteren Verlauf des Gesprächs auf die angeführten Umstand ein. „Es wird anscheinend immer wieder vergessen, dass auch ein Staat, der sich gegen einen mörderischen Angriff verteidigt, Kriegsverbrechen begehen kann. Das folgt aus dem Unterschied zwischen dem Recht zur Anwendung von Gewalt und dem im bewaffneten Konflikt geltenden Recht.“

Da diese Bewertung eine juristische Frage ist, erscheint die Antwort mit der Staatsraison auf den drohenden Haftbefehl als bewusste Realitätsleugnung. In Zeiten in denen die Staatsraison keine Rolle spielt, wird betont, dass man Freunde kritisieren darf. Die US-amerikanische Kritik perlt jedoch an der israelischen Regierung ab und die deutschen Bemühungen ebenso. Vielleicht sollte in Deutschland diskutiert werden, ob ein politischer Beistandspakt unter allen Umständen zeitgemäß ist.

Politisch-historische Bildung kann nie schaden, um sich politisch auf der Welt orientieren zu können. Und in einem Punkt gebe ich der Berliner CDU Recht: Es ist „unerträglich, dass Juden heute, 85 Jahre nach der Reichspogromnacht, wieder Angst haben.“ Kein Mensch sollte Angst haben müssen.

Aber die Frage, die sich hier stellt, ist die nach Macht und Hegemonie. Die Ankündigung „Antisemitismus als besonders schwerer Fall der Volksverhetzung im Strafgesetzbuch“ eingestufen zu wollen, wie auch die anderen gesetzlichen Änderungen, bedeuten die Durchsetzung einer politischen Position per Gesetz. Damit drohen die „problematischen Implikationen für die Meinungsfreiheit“ (Ullrich) in Schwarz auf Weiß umgesetzt zu werden.
Bedenkeswert ist in diesem Zusammenhang die Fragen Montazeris: „Aber bin ich denn nicht auch deutsch? Zählen unsere Geschichten nicht? Wir haben deutsche Komplizenschaft im Dersim-Massaker erlebt, in Rojava, im Iran – wenn sie uns nicht mitmeinen, dann ist klar, was für eine Politik sie betreiben.“

Damit ist die Frage nach der Mitschuld von Drittstaaten gemeint, wenn sie von einem Konflikt profitieren, etwa auch durch Waffenlieferungen. Der Eilantrag Nicaraguas gegen Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof „wegen Beihilfe zum Genozid im Gazastreifen zurückgewiesen„, wegen dessen Waffenlieferungen, zielt in die gleiche Richtung. Das Hauptverfahren zu dieser Klage folgt jedoch noch und wird nach der Einschätzung der NZZ Jahre dauern. „Nicaragua beruft sich in seiner Klage auf die Völkermord-Konvention von 1948. Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, alles zu tun, um Völkermord zu verhindern.“ Die Frage Montazeris ist also durchaus berechtigt, da die Verantwortung der Drittstaaten an einem Krieg durchaus festgestellt werden könnte.

Zieht man dies in Betracht, sollte in Deutschland bei der Vielfalt innerhalb der Bevölkerung nachgedacht werden, was dies für die Geschichtspolitik bedeutet und was für die Staatsraison. Sich der Geschichte der eigenen Kolonialen Vergangenheit wäre dann nur der Anfang.

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