Frauen, Leben, Freiheit – für ein besseres Leben

Es geht ums Ganze! Mal wieder! Oder erkennen wir eine Revolution nicht, wenn wir sie sehen? Es geht um ein besseres Leben!

Freiburg, 5.01.2023: Solidarisierung des Studierendenrats der Uni Freiburg mit den Studierenden in Isfahan und den iranischen Protesten:

Seit dem Tod von Jhina Mahsa Amini am 16. September in
polizeilichem Gewahrsam halten die Proteste von Iraner:innern
unvermindert an. Diese feministische Revolution richtet sich nicht
nur gegen den Kopftuchzwang und fordert nicht nur Reformen,
sondern sie fordert sogar den Sturz der Islamischen Republik. Die
Iraner:innen verlangen ihre grundlegenden Menschenrechte,
Freiheit und Demokratie. Die Islamische Republik begegnet dieser
Revolution mit massiver Gewalt. Sie lässt Menschen auf offener
Straße erschießen. In den Gefängnissen setzt sie gezielt
Vergewaltigung als Waffe gegen Inhaftierte ein. Menschen werden
zum Tode verurteilt, weil sie für ihre Rechte demonstrieren.

Insbesondere Studierende demonstrieren und sind dieser Gewalt
ausgesetzt, auch an unserer Partner-Universität Isfahan. Viele
Mitglieder der Fachschaft Islamwissenschaft haben als
Austauschstudent:innen an der Universität Isfahan studiert. So
haben wir viele enge Kontakte und Freundschaften mit
Studierenden der Universität Isfahan geknüpft. In der aktuellen
Lage sind wir mit ihnen im Austausch und hören täglich vom
unglaublichen Mut der Studierenden und von den Gräueltaten der
Islamischen Republik.
Wir, der Studierendenrat der Uni Freiburg, drücken unsere volle
Solidarität mit den Protesten im Iran und insbesondere in Isfahan
aus. Wir unterstützen die Studierenden in Isfahan in ihren
Forderungen nach:
– dem Ende autokratischer Herrschaft,
– der Freilassung aller inhaftierten Studierenden und aller
politischen Gefangenen,
– der Gleichberechtigung aller Menschen, unabhängig von
Geschlecht, Religion, Ethnie …,
– die Schaffung eines demokratischen Systems,
– und der bedingungslosen Wahrung der Würde des Menschen.“

https://www.stura.uni-freiburg.de/news/SoliIsfahan

wir rebelieren, also sind wir, …

Das Wort „Baraye“ kann mit „für“ aber auch mit „wegen“ übersetzt werden. In der Hymne „Baraye“, werden die Gründe für die Proteste angeführt. Und die sind vielfältig. Die Menschen gehen für „meine Schwester, deine Schwester, unsere Schwestern“ auf die Straße, wegen der Armut und der „diktierten Wirtschaft“, gemeint sind die vermeintlich islamischen Vorgaben und für die afghanischen Kinder. In einem anderen Video, das mit „Official Music + Video“ von Shervin Hajipour gekennzeichnet ist, wird an der Stelle, an der von den Afghanischen Kindern gesungen wird, Kinderarbeit gezeigt.

Azam Ali & Loga Ramin Torkian- BARAYE Ft. Hamed Nikpay, Mamak Khadem, Arash Avin, Mahsa Ghassemi

Ich kann mir das Video kaum ansehen, ohne dass mir die Tränen kommen.

Am 7. 12. 2022 beklagte Sanaz Azimipour in der taz online, dass die ökonomischen Aspekte der Proteste gar nicht oder nur unzureichend in den deutschen Medien aufgegriffen wurden. Dabei seien es

„die größten Streiks in der Geschichte des Landes. Über 50 Städte haben sich angeschlossen. Von Ar­bei­te­rin­nen der Ölindustrie und Raffinerie in Sanandaj und Mah­shar bis zu Metall- und Stahl­ar­bei­te­rin­nen in Isfahan. Lkw-Fahrerinnen, Lehrerinnen, Studierende und Geschäftsleute im ganzen Land haben sich angeschlossen.“

Sanaz Azimipour: Ins Herz des Regimes, taz vom 7. 12. 2022


Auch für Amina Aziz ist das Ausklammern der ökonomischen Aspekte ein Schwachpunkt der deutschen Berichterstrattung. „Dass die revolutionäre Bewegung aber mindestens genauso für die Veränderung der materiellen Verhältnisse kämpft, ist den wenigsten klar.“

Diese stärker in den Blick zu nehmen, würde den Fokus erweitern und könnte den deutschen Leser:Innen zusätzliche Erklärungsmuster bieten. Wie in anderen Vielvölkerstaaten sind Mitglieder der ethnischen Minderheiten häufiger von Armut betroffen als Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft, weshalb die Begründung der Generalstreiks alleine mit der Herkunft der Streikenden ohne ihre ökonomische Situation anzusprechen, einer Unterschlagung gleichkommt. „Linke Perspektiven könnten diese Aspekte einordnen Sie wären in der Lage, die Ereignisse in Iran auch als Klassenkämpfe zu sehen – welche für revolutionäre Prozesse essenziell sind.“

Ob diese Video tatsächlich ein offizielles ist, oder aber bereits politisch umbebildert wurde (in dem ersten offiztiellen Video wurden die Tweets gezeigt, aus denen Hajipour den Liedtext zusammenfügte) sei dahingestellt. Die Vielfalt der Probleme und die unterschiedlichen Aspekte, die in dem Song angesprochen werden, und der Schrei nach Freiheit, der hier vertont wurde, trifft einen Nerv – zumindest den der im Ausland lebenden Iraner:Innen. Und wie die Proteste offenbar bisher die verschiedenen Völker des Irans zusammen brachten, schafft das Lied die Integration weiterer Motive.

Dieses Bemühen, möglichst viele Menschen mit ihren Problemen anzusprechen, drückt sich auch in der Losung der Rebellion aus:

Jîn, Jiyan, Azadî (kurd.) – Zan, Zendegi, Azadi (pers.) –
Frau, Leben, Freiheit

„Wenn wir über Revolution reden, müssen wir auch über eine bildungsgerechte, ökonomisch gerechte und geschlechtergerechte Zukunft sprechen. Es geht um alle Weisen der Unterdrückung.“ Dies macht die Stärke der Losung aus, erklärt Azimipour.

„Exil“ Iraner:Innen und linke Diskurse

Was außerhalb Irans über den Iran an Informationen ankommt, ist seit der 1979 immer unsicher. Dass die Lebensbedingungen sich ständig verschlechtern, ist in den letzten Jahren dagegen sicher.

In einer solchen Zuschauerposition schwanken die Mitleidenden aktuell zwischen Hoffen und Bangen. Die politischen Prägungen des Publikums sind dabei nicht weniger entscheidend als das Handeln der Akteure. Ein Umstand, der auch den Informationsfluss zwischen den Auslandsiran-er:Innen erschwert.
In der taz beklagen gleich zwei Kommentator:Innen die mangelnde Bereitschaft der deutschen Linken sich für die Protestierenden zu engagieren. Während es Amina Aziz um eine andere und „anschlussfähige“ Perspektive geht, beklagt Sanaz Azimipour, dass die deutsche Linke die Realität ständig mit ihrer Vorstellung vergleiche und daher eine reale Revolution nicht erkenne. Auch wenn dieser Vorwurf möglicherweise berechtigt ist, zeigt sich hierin eher die Schwäche der deutschen Linken, in der sich ein paar Aktive um jedes Thema kümmern, was häufig zu einer Breite aber kaum zu einer Tiefe der inhaltlichen Kompetenzen führt. [Welches Thema in welcher Gruppe behandelt wird, ist häufig zufällig, als persönliche Bekanntschaften und Vorlieben dabei prägend sind. Daher verwundert es kaum, dass die Losung in Deutschland fast ausschließlich auf kurdisch bekannt ist.] Daneben gibt es Spezialist:Innen, denen die Aktiven glauben müssen, soll die Arbeitsteilung [sic!] aufrecht erhalten werden.

Auf die Frage der Zukunft nach der Rebellion/Revolution reagiert Azimipour irritierend. Sie wirft im taz-Interview dem/der geneigten Fragenden als Antwort „Staatsdenken“ oder vielleicht eher Organisationsfixiertheit vor. Jede hierarchische Organisation laufe Gefahr, dass deren führende Personen „verhaftet oder hinrichtet“ würden. Sie favorisiert stattdessen eine Basisdemokratie. „Lasst uns doch Pläne machen für eine demokratische Zukunft, in der Gewerkschaften, Gruppen, Kommunen sich organisieren, in der es Räte gibt, und in der von unten nach oben regiert wird. Ich weiß, das ist utopisch. Aber wann, wenn nicht jetzt, ist die Zeit utopisch zu denken?“ Zumindest kann man diese Gedanken und Pläne den mutigten iranischen Demonstrant*Innen nicht verübeln.

Die Basisdemokratie hat natürlich den Nachteil, dass deren Stimmenvielfalt schwieriger zu beurteilen ist, als Proteste einer zentralistisch organisierten Bewegung. Dies sollte aber nicht als Entschuldigung für die mangelnde Solidariserung herhalten.
Während das „»…ums Ganze!«- Bündnis gegen den Kapitalismus in Form der Klimakatstrophe in Lützerath kämpft, geht es im Iran ums Ganze.

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