Paulskirche am 20.05.2023

Paulskirche – eine andere Wiege der deutschen Demokratie

Die Paulskirche wird häufig mit der 1848er Revolution gleichgesetzt. Zwar ist die Paulskirche das erste demokratisch gewählte Parlament, aber war dieses Parlament noch Teil der Revolution?

„Als das Frankfurter Parlament zusammentrat, hatte schon längst, nur von wenigen bemerkt, die Gegenrevolution begonnen. Diese Umkehr des Geschehens erfüllte das Leben der ersten deutschen National-versammlung mit einem Widerspruch, dessen sie nie Herrin werden konnte.“ Dies schreibt der früheste Historiker der Revolution, Veit Valentin (Geschichte der deutschen Revolution 1848–1849 Band 2: Bis zum Ende der Volksbewegung von 1849). Es gab und gibt seither einen Streit um die Erinnerungskultur bezüglich dieser Revolution und dem Rang der Paulskirche in ihr, denn Geschichte ist verflossene Politik und die Erinnerung daran nicht weniger politisch. Was plastisch in der Darstellung der Gedenktafel zum Ausdruck kommt:

Gedenktafel an die Paulskirchenparlamente, geschmückt mit zwei Putten

Die linke Putte hält die Kaiserkrone in der Hand. Die rechte Putte trägt eine Jakobinersmütze und in der linken Hand eine Schriftrolle, die die Verfassung darstellt. Der linke Knabe hebt den Deckel einer (Wahl-)Urne an, während der rechte Bub einen Zettel in die Urne schmeißt. Diese scheinbar gute Zusammenarbeit ist zum Zeitpunkt der Zusammenkunft der Paulskirchenabgeordneten jedoch schon vorbei, denn längst war in Berlin Blut geflossen. Die Revolutionszüge Heckers, von „Franz Sigel, Joseph Weißhaar und Georg Herwegh“ wurden bereits militärisch zerschlagen.

Den geistigen Zustand der Monarchist:innen im Frühjahr 1848 beschreibt Valentin. „Die Revolutionsmöglichkeiten waren im März und April so groß gewesen, daß die konservative Masse, nun selbst in Bewegung geraten, vor einer Wiederholung zitterte.“

Dabei haben die Konservativen rückblickend gar keinen Grund zum Zittern. Zumindest sieht es die Neue Rheinische Zeitung bereits am 2. Juni so. Vielmehr haben die „Demokraten“ in den Augen der Zeitung bereits verloren.

„Mit sich selbst in Widerspruch gesetzt durch ein undemokratisches Wahlgesetz, geschlagen in den Wahlen, sieht sie jetzt eine doppelte Vertretung sich gegenüber, wovon nur das schwer zu sagen ist, welche von beiden sich entschiedener ihren Forderungen entgegenstemmt. Damit ist dann freilich ihre Begeisterung verraucht und die nüchterne Erkenntnis an die Stelle getreten, daß eine mächtige Reaktion zur Herrschaft gelangt ist, und zwar merkwürdigerweise, noch ehe es überhaupt zu einer Aktion im Sinne der Revolution gekommen ist.“

Die demokratische Partei
[„Neue Rheinische Zeitung“ Nr. 2 vom 2. Juni 1848] MEW, Bd.5, S. 22-24

Auf die gesamt Revolution bezogen, kommt Valentin zu einem ähnlichen Ergebnis.

„Gerade die geistigen Führer der Revolution wollten das Legitime; sie waren viel zu schüchtern, um andere einschüchtern zu wollen. Blutvergießen war ihnen ein Greuel. Sie wünschten nichts mehr als die Überleitung der Kämpferleidenschaft in publizistische Diskussion, in parlamentarische Debatte. Das war eine sehr moderne Gesinnung, aber sie eilte den vorhandenen Institutionen und dem Lebensstil breiter Schichten weit voraus.“

(Veit Valentin, 11/40)

Das Gedenken

Bereits während einer Gedenkstunde zum 9. November 2018 hatte Steinmeier dem Gedenken an die Demokratiegeschichte einen Stellenwert zugeordnet, ihr sollte „mehr Aufmerksamkeit, mehr Herzblut“ gewidmet werden. Vor drei Tagen, am 18. Mai 2023, wies Steinmeier in seiner Rede zu „175 Jahre Deutsche Nationalversammlung“ auf die Gleichrangigkeit aller politischen und sozialen Kämpfe im Jahr 1848 hin. „Der 18. März mit seinen Barrikadenkämpfen und der 18. Mai mit dem Beginn der Parlamentsarbeit: das gehört untrennbar zusammen.“

Damit wird ein Streit in der Gedenkkultur hochoffiziell mit der Feststellung der Gleichwertigkeit beider Elemete der Revolution, Straße und Parlament, aufgelöst, ob sich dies abseits der Feierstunde durchsetzt, bleibt abzuwarten. Zweifelhaft ist dies insbesondere deshalb, weil Gedenkorte auch touristische Orte sind, die vermarktet werden.
„Aber Kommerzialisierung ist nun mal ein Wesenselement der
Gesellschaft, in der wir leben. Erinnerungskultur wird sich dem
schwerlich ganz entziehen können. Und wie soll heute eine Revolution als Tradition gepflegt werden, wenn sie von größeren Teilen der
Bevölkerung auf- und angenommen werden soll?“ (Schmidt, 2008, S. 936)

Jenseits der Kirchenmauern feierte Frankfurt sein Paulskirchenfest mit mehrern Konzertbühnen und Festpunkten zum Thema Demokratie. Schüler der Musikschulen führten eigene Stücke zum Thema auf, Fernsprecher gaben die Gelegenheit, mit Schauepieler*innen in den Rollen historischer Persönlichkeiten zu diskutieren und auf dem Paulskirchenplatz konnte man die Gedichte von Frankfurter*innen zum Thema Demokratie auf den Schleifen der Freiheitsbäumen lesen. Ein besonderer Programmpunkt war der Freiluftauftritt der Schauspieler*innen der Büchnerbühne Riedstadt , die zeitgenössische Kommentare des Jahres 1848 vortrugen.

Quellen:

„Es lebe die deutsche Republik!“: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages
zum 9. November 2018 in Berlin

Walter Schmidt: Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Geschichtskultur, in: UTOPIE kreativ, H. 216 (Oktober 2008), S. 925-940, (https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Utopie_kreativ/216/216Schmidt.pdf)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert