Berlin – Teil 2 – Die Toten der Novemberrevolution

am 17.03.2024 erschienen auf ortederdemokratisierung

„Im November und Dezember 1918 wurden auch die Opfer der Revolution 1918/19 auf dem Friedhof der Märzgefallenen beerdigt.“ (www.friedhof-der-maerzgefallenen.de)

Der rote Matrose

Die roten Matrosen oder Ein vergessener Winter“, das Kinderbuch bzw. den Jugendroman habe ich etwa im Alter von 12 Jahren geschenkt bekommen. Ich habe das Buch bestimmt ein halbes dutzendmal in den kommenden Jahren gelesen.

Mit dem Matrosenaufstand in Kiel begann, was Novemberrevolution genannt wird. Die DDR veränderte den Friedhof der Märzgefallenen mehrfach und stellte 1961 die Statue des roten Matrosen auf. Mit den Kieler Matrosen fing die Revolution an. Der steinerne Matrose steht als Wächter der Gefallenen von 1848 und 1918 zentral am Ort der Demokratiegeschichte.

Die DDR sah sich

„als Vollenderin der Novemberrevolution, eine Grundanschauung, an der sich im Laufe der Jahre nichts änderte. Noch 1983 hieß es im „Neuen Deutschland“ kurz und bündig: „Ziele des November 1918 in der DDR verwirklicht.“
In der Bundesrepublik diente die Novemberrevolution nicht zur Traditionsstiftung, jedenfalls nicht im affirmativen Sinn. Sie war Teil der Fixierung auf Weimar als Negativfolie, von der es sich abzugrenzen galt.“

Gallus, A.: Eine mehrfach überschriebene Zäsur, in: FAZ

Aber natürlich hatte die Beschäftigung mit der Novemberrevolution auch Konjunkturen. Aber der Untertitel des Jugendromans „Ein vergessener Winter“ weist doch darauf hin, dass der Mut und das Wollen der Matrosen und der Revolutionäre des November und Dezember 1918 zu mindest in den 1980er Jahren nicht wertgeschäzt wurd. Ein Befund, den Alexander Gallus in der FAZ teilte:

„Im Laufe der 1980er Jahre verlor das Thema an Bedeutung, weder die breite Öffentlichkeit noch die Historiker interessierten sich dafür. Angesichts ihrer Nicht-Präsenz zu ihrem 90. Jubiläum im Jahr 2008 erschien siemanchem Beobachter sogar als eine ‚vergessene Revolution‘.“ Heute sieht sich die „Berliner Republik“ in der Tradition des demokratischen Weimar, indem sie sie um die denkwürdigen (Monate) Jahre kürzt, bzw. sie uminterpretiert. Die Vertreter des sogenannten „Paradigma der Demokratie“ betonen „das bemerkenswerte Ausmaß der politisch-sozialen Veränderungen 1918/19 und das relativ geringe Ausmaß an Gewalt“ (Gallus, A.: Gefangen zwischen den Paradigmen. Die Revolution von 1918/19 als Scheideweg zwischen Demokratie- und Gewaltgeschichte, in: Die Weimarer Republik als Ort der Demokratiegeschichte. Eine kritische Bestandsaufnahme, S. 63). Dagegen stellte Gallus die Kontinuität, die aus der Zusammenarbeit im Interfraktionellen Ausschuss resultierte. Dieser Ausschuss tagte von Juli 1917 bis zur Novemberrevolution rund 100-mal (vgl. ebd.).

„Er repräsentierte in der Kanzlerkrise im Herbst 1917 alleine den Machtanspruch des Parlaments gegenüber der Reichsleitung. Aus
dem Interfraktionellen Ausschuss ging der Siebener-Ausschuss der
Parteiführer hervor“

MATTHIAS, Erich/ MORSEY, Rudolf (Hg.), Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, Bd. 1 (Quellen zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien. Reihe 1: Von der konstitutionellen Monarchie zur parlamentarischen Republik 1), Düsseldorf 1959, S. 37-39.

und später die sog. Weimarer Koalition. Er „scheiterte letztlich mit seiner Friedensresolution vom 19. Juli 1917.“ Aus der Perspektive der Ausschussmitglieder vollzogen die Forderungen der Revolutionär:innen viele Ihre eigenen Ideen nach und gaben ihnen eine eigene Legitimität. Allerdings verließ die Revolution mit der Idee der Räte das Fundament der Ideen des Ausschusses.

Die Gewaltpartadigma geht davon aus, dass die „nachhaltigen Radikalisierung“, die in der Revolution entstand, sich etablierte. „Aus einer solchen Interpretation spricht deutlich eine Kontinuitätsannahme – die These, dass die Revolution den Beginn des deutschen Weges zur Diktatur und nicht (nur) den Ausgangspunkt der Demokratie bildete.“ (Gallus, a.a.O., S. 70). Gallus selbst folgt weder dieser These noch dem Paradigma der Demokratie, sondern betont Offenheit der Geschichte und betont, dass die Stellung der Novemberrevolution gerade deshalb besonders ist, weil es nicht möpglich ist, sie „eine Meistererzählung einzubinden, die die Komplexität der historischen Ereignisse geradebiegen könnte.“ (Ebd., 77).

Nach ihrem Sieg in Kiel verbreiteten die Matrosen in einer Art Vorwärtsflucht die revolutionäre Stimmung, „wenn sie nicht in Kiel eingekreist, niedergeschlagen und grausam bestraft werden wollten. Sie mussten ausschwärmen und die Revolution ins Land tragen. Und das taten sie nun mit einem Erfolg, den sie selbst nicht für möglich gehalten hätten.“ (Haffner, Sebastian. Die deutsche Revolution 1918/19 (S.65). Rowohlt E-Book. Kindle-Version.)

Berlin war zu dieser Zeit „Zentrum der deutschen Arbeiterbewegung“ (Materna, I, in: Ulla Plener (Hrsg.) 2009, S. 92). Entsprechend gab es in der Stadt auch die unterschiedlichen Flügel der SPD. Am 9. November 1918 als die Revolution schließlich auch in Berlin stattfand, wurde sowohl die „deutsche Republik“ und die „„freie sozialistische Republik Deutschland“ ausgerufen. Sowohl für die eine als auch für die zweite Variante gab es in beiden Parteien Unterstützung. Auf der einen Seite standen

„sehr bald die um den Rat der Volksbeauftragten, also die Führung der SPD und Teilen der USPD, formierten Käfte […] und die neu gebildeten bürgerlichen Parteien, verbunden und verbündet mit der Regierungsforderung nach dem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht, auch für Frauen, und nach einer Nationalversammlung, die künftige Gestaltung des Reiches als bürgerlich-demokratische Republik zu bestimmen hätte. Auf der anderen Seite waren es die auf eine Weiterführung der Revolution bis zur Errichtung einer sozialistischen Republik, …, die linke USPD, in Berlin also USPD-Funktionäre des Vollzugsrates, die Mehrheit der revolutionären Obleute und die Spartakusführer“

Materna, Ingo: Berlin – das Zentrum der deutschen Revolution 1918/1919, Plener, U. (HRSG.): Die Novemberrevolution
1918/1919 in Deutschland. Für bürgerliche und sozialistische Demokratie. Allgemeine, regionale und biographische
Aspekte. Beiträge zum 90. Jahrestag der Revolution, S. 99

Am 10. November stellte eine Abteilung Gardefüsiliere „an der Ecke Invaliden- und Chausseestraße einen spartakistischen Demonstrationszug und feuerte ohne Warnung mit Maschinengewehren in ihn hinein. Es gab sechzehn Tote und viele Verwundete.“ (Haffner, Sebastian, S.134). Im Laufe der Auseinandersetzungen, in der die SPD gemeinsam mit den bürgerlichen Kräften und der Hilfe der raktionären Freikorps den Staat, die neue Republik, vertrat, die USPD unentschieden agierte und die Spartakus-Gruppe (später KPD) ihre Möglichkeiten falsch einschäzte, stiegen die Zahlen der Opfer. Aus diese Konstellation ergab sich für Sebastian Haffner der Vorwurf des Verrats der (M)SPD an der Revolution. Bei den Kämpfen am 24.12.1918 zwischen dem herbeigerufenen Militär und den roten Matrosen fielen nach Angaben von Arnulf Sriba 11 Matrosen. „Als am Sonntag, dem 29. Dezember, die gefallenen Matrosen im Friedrichshain, im Berliner Osten, zu Grabe getragen wurden, folgte ihnen ein unabsehbarer Zug von Trauernden – erbittert Trauernden.“ (Haffner, Sebastian. E-Book. Kindle-Version, S.153).

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