Ein leises Punkgebet

von kultgenosse @ 2013-08-07 – 11:06:50

Seit zwei Wochen wird der offene Brief von Juli Zeh (manchmal wird noch Ilija Trojanow genannt, immerhin Zweitunterzeichner) und anderen in verschiedenen Medien (Bild, FAZ, Spiegel, heute-journal etc.) an die Kanzlerin besprochen und kommentiert. Heute in der Süddeutschen. Ob ich andere Artikel zum Thema in der SZ übersehen habe, sei mal egal.

Statt sich zu freuen, dass sich eine engagierte Essayistin und Schriftstellerin äußert, werden die jüngeren Klassiker (Enzengsberger, Gruppe 47, etc.) aus der Mottenkiste der Bundesrepublik gezaubert. „Die deutschen Schriftsteller, die als gute Volksvertreter seit je mehr an eine Resolution als an eine Revolution glaubten, waren allerdings schon einmal ein bisschen mutiger“, schreibt Willi Winkler. Is recht. Die Süddeutsche als (einzig) verbliebene größere (neo-)links-liberale überregionale Zeitung tut gut daran, an lautere Zwischenrufe zu erinnern. Statt Asyl für Snowden zu fordern oder zum „Verrat am Bündnispartner aufzufordern“, würde Zeh sich mit grundsätzlichen Beobachtungen begnügen. Stimmt. Wie die gleiche Zeitung allerdings bereits zwei Wochen vor der Resolution schrieb, lehnte „Deutschland“ „das Aufnahmegesuch des ehemaligen US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Synoden“ ab. Dennoch ist die Forderung berechtigt und Russland wäre Snowden erspart geblieben, hätte die Regierung anders gehandelt, lang bevor Zeh den Griffel in die Hand nahm.

Tatsächlich finden sich sämtliche relevanten Kritikpunkte, allerdings leise im Ton: so stellt Zeh fest, dass Deutschland ein „Überwachungsstaat“ sei, sie kritisiert die Untätigkeit der Kanzlerin und stellt fest, dass das Vorgehen der NSA verfassungswidrig ist – eine Feststellung, die von einer Schriftstellerin mit juristischem Hintergrund ausgesprochen, ein zusätzliches Gewicht erhält. Trotzdem fragt sie, ob dies politisch gewollt sei. „Ist die Bundesregierung dabei, den Rechtsstaat zu umgehen, statt ihn zu verteidigen?“ Die NSA als politische Vollstreckungsagentur der deutschen Regierung, eine lohnenswerte Überlegung. „Das Grundgesetz verpflichtet Sie, Schaden von deutschen Bundesbürgern abzuwenden“, erinnert Zeh Merkel an den Amtseid. Ein Vorwurf, der mit den gleichen Worten auch von der SPD erhoben wurde.

„Frau Bundeskanzlerin, wie sieht Ihre Strategie aus?“ Das immerhin wissen wir nun seit heute, rot-grün sei Schuld, Steinmeier habe die Zusammenarbeit unterschrieben. Bei soviel Einfallslosigkeit ist Zehs Frage durchaus berechtigt, auch wenn Merkel wahlkämpft und mehr wahrscheinlich nicht zu erwarten ist. Ich finde ein weitreichender Einwurf in die Debatte. Wer aber ein bisschen mehr über Zehs und Trojanows Standpunkte wissen möchte, der/dem empfehle ich das sehenswerte Interview in der Kulturzeit. Es wurde in Bezug auf ihr gemeinsames Buch „Angriff auf die Freiheit-Wehren gegen die Überwachung“ ist also älter, aber erschreckend aktuell. Ich finde, eine zu wenig beachtetes Punktgebet.

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