von kultgenosse @ 2013-08-19 – 15:31:29
Auf Telepolis hat Peter Nowak heute einen sehr interessanten und lesenswerten Artikel über das Wahlrecht für hier lebende Ausländer geschrieben – und hierauf haben sich sehr viele Kommentare gestürzt.
Peter Nowak hat in seinem Artikel allerdings noch einen weiteren spannenden Aspekt dargestellt, nämlich das Wahlverhalten der MigrantInnen. Demnach wählen die hier lebenden AusländerInnen zunächst die links-mitte Parteien rot-grün und nach Erhalt der Staatsbürgerschaft kommen auch die etablierten bürgerlichen Parteien in Betracht. „Die Deutschtürken wählten zunächst mit den Grünen und der SPD Parteien, die ihnen mehr Partizipation versprachen. Hatten sie das Wahlrecht erreicht, entschieden sie sich für die Parteien, die ihren sonstigen politischen Ansichten am nächsten kamen – und da ist für die große Mehrheit der AKP-Anhänger die Union sicher eine Option.“
Das verrät natürlich einiges über die MigrantInnen, aber auch etwas über die Parteien. Den Wechsel ins bürgerliche Lager will ich nicht kommentieren, dies ist erstens für mich überhaupt nur in Teilen nachvollziehbar, interessanter finde ich aber außerdem, die Überlegung, ob sich nicht auch in den Parteien etwas ändern muss – zumindest könnten erste Überlegungen jenseits von Wahl-Strategien angedacht werden.
Zunächst spricht die wachsende Zahl der MigrantInnen, bzw. der Frauen und Männer mit Migrationshintergrund in Parteien dafür, dass nicht alles verkehrt läuft. Auch stellt sich die Frage, warum sich MigrantInnen überproportional in Parteien engagieren oder ihr zugetan sein sollten – sie sind halt auch nur Menschen. So hoffte die LINKE in Teilen, Hartz-IV Bezüge trügen schon zu einem politischen Bewusstseinswandel. Dahinter steckt offenbar die Ansicht, das Erleben von Ausgrenzung müsste eine(n) zugleich sensibel für andere Ungerechtigkeiten machen. Kann passieren, muss, aber nicht, zumal die liberale Verheißung von Aufstieg durch Leistung an der gleichen sozialen Lage ansetzt – bei den sozial Benachteiligten. Allerdings weiß der Teil der Parteien, der nicht nur über, sondern auch mit MigrantInnen gearbeitet hat, dass nicht alle erreichbar oder gar zur Zusammenarbeit bereit sind, d.h. ganz überraschend kommt das Ergebnis des Forschungsinstituts Futurologe, auf das sich Nowak bezieht, nicht. Dennoch muss die gesellschaftliche Teilhabemöglichkeit der MigrantInnen ermöglicht werden, unabhängig davon, wie sie dieses nutzen. Das Beispiel, das Nowak als Abschreckung für viele Deutschtürken aufführt, „die Unterstützung Grüner Spitzenpolitiker für die vom Gezipark ausgehenden Proteste in der Türkei“, heißt auch nicht, dass man richtige Politik mit Blick auf WählerInnen ändern sollte. Nowak schreibt fast im Vorbeigehen von den gemeinsamen oder ähnlichen Wertvorstellungen von AKP-Anhängern und Unionsmitgliedern. Das gesellschaftspolitische Politikfeld von der Gender- oder Familien- Politik, auf der rot-grüne am meisten getan hat, käme bei diesen MigrantInnen nicht besser an als bei Christdemokraten. Dies ist für die mitte-links Parteien umso tragischer, als sie sich auf anderen Politikfeldern nicht wesentlich von der Union unterscheiden. Wenn also eine eher alternativ-aussehende Person auf eine(n) MigrantIn zugeht, ist dies vielleicht der erste Kontakt mit einer/einem Deutschen, zugleich aber möglicherweise ein Kulturschock im ästhetisch-gesellschaftspolitischen Sinn. Und dies ist ein jüngeres Phänomen. Viele der Vorreiter der Arbeiterbewegung waren bis hin zur Mitte des letzten Jahrhunderts aus unserer Sicht optisch nicht von den konservativen politischen Gegnern aus der gleichen Schicht zu unterscheiden.
Die Rosa-Luxemburg Stiftung gibt in einem Beitrag auf die Frage, „Was ist links“ sogar als Leitbild eine „fortschrittliche“ Haltung in Sachen Kultur, Soziales und Politik an. „Eine Linke (und das gilt für linke Organisationen und Individuen), die sich ausschließlich auf das Feld des Politischen oder das Feld des Kulturellen oder das Feld des Sozialen beschränkt, kann nicht wirklich links sein“ heißt es hier. Was eine individuelle Herausforderung bedeutet, stellt aber unter Umständen bereits ein Hemmnis in der Kommunikation mit den Mitgliedern der eigenen Organisation dar, umso mehr mit Außenstehenden oder mit MigrantInnen.
Da politische Arbeit zwischen Programmatik und Akzeptanz des Anderen stattfindet, gilt es möglicherweise unsere eigene Wirkung zu überdenken. Denn ist die Kommunikation in der Weise „vorbelastet“, kann bei der/dem anderen eine Neugier auf politische Inhalte gar nicht aufkommen.