Zehn Jahre ist das „Wir schaffen das!“ alt und genauso lange arbeite ich in der Beratung von Geflüchteten. Im Herbst 2015 begann ich diese Arbeit. Hier schaue ich mal zurück.

Seit ich mich entschieden habe den Gedenkort für Walter Benjamin und die Exilierten der Jahre 1933 – 1945 (auch Passages, Homage to Walter Benjamin genannt) zu besuchen, werde ich auf mich selbst zurückgeworfen. Zehn Jahre berate ich nun Geflüchtete. Eine Arbeit und Aufgabe, die unmittelbar politisch ist.

Meine Klientel hat sich verändert und meine Arbeit ist inzwischen auch eine andere. Ich begann in einer Landesunterkunft in NRW, die mal als Erstaufnahmeeinrichtung mal als Zentrale Unterbringungseinrichtung genutzt wurde. Einige der Untergebrachten waren sechs Monate oder länger da, in manch heutigen Einrichtungen müssen die Menschen bis zu 18 Monate bleiben. Unfreiwillig.

Mit der politischen Stimmung im Land wechselte die Strenge der Gesetze und wurden die Chancen bestimmter Personengruppen mal größer, mal kleiner. Und seit Jahren stellt sich mir die Frage, wie weit trage ich das noch mit. Ernüchternd ist dabei, dass das, was wir als Härte verstehen, Hannah Arendt schon 1943 aus eigener Erfahrung treffend beschrieben hat.

Und schon seit Beginn meiner Tätigkeit gab es das Phänomen der Passlosen und der Staatenlosen. Die Staatenlosen kommen bis heute zumeist aus Palästina, die Papierlosen kommen aus unterschiedlichen Ländern. Sie haben keine Ausweispapiere, entweder, weil es in dem Ursprungsland keine gibt oder weil die Papiere bei der Flucht übers Meer ins Wasser gefallen sind. Zahllose Dokumente dürften den Meeresgrund des Mittelmeeres bedecken und liegen dort zwischen den Unglücklichen, die die Passage nicht überlebten.



Und eine letzte Gruppe hat ihre Papiere entweder an einer europäischen Außengrenze abgeben müssen und das Drittland ist noch im Besitz der Papiere oder sie wurden bei Bekannten hinterlegt. Da dies zum Teil Jahre her ist und flüchtige Bekannte nicht immer Kontakt halten, sind diese Papiere meist verloren. Hin und wieder tauchen die Papiere aber wie bestellt wieder auf. Ohne Papiere ist ein Ausweg aus der Duldung jedoch kaum möglich. Und mit einer Duldung ohne Identitätsnachweis ist zwar die Teilnahme an einem Sprachkurs möglich, aber nicht die Aufnahme einer Beschäftigung. Zur Erinnerung: eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern bedeutet die Aussetzung der Abschiebung.

Auch wenn sich die Arendts Kritik an der Behandlung der Flüchtlinge und besonders der Staatenlosen der Zwischenkriegszeit bis zum Ende des zweiten Weltkrieges entzündet, sind gibt es doch immer noch Ähnlichkeiten zur Gegenwart.

Dieses tägliche Zusammenbrechen der privaten Welten an unsichtbaren, erfahrbaren und fühlbaren Grenzen ist schwierig mit anzusehen, bedenkt man, welchen Mut die Menschen aufgebrachten hatten, als sie den ersten und jeden nächsten Schritt ins Ungewisse machten. „Denn das Paradoxe ist doch, dass an der Figur des Flüchtlings, an dem die Menschenrechte sich par excellence bewahrheiten sollten, das Konzept als Ganzes in die Brüche geht.“ (Giorgio Agamben: Wir Flüchtlinge, in: Bauwelt 48/2006 vom 22.12.2006).

Territoriale, sprachliche und juristische Grenzen haben sie überwunden und scheitern an Wartezeiten. Mit Blick auf die 1930er Jahre kritisierte schon Hannah Arendt dieses verdammt sein zum Warten.

„Hannah Arendt polemisiert heftig gegen die an sich demokratischen Länder – namentlich das Zwischenkriegs-Frankreich -, weil sie zwar Scharen von Flüchtlingen aufnahmen, sie aber in einem halblegalen Zustand hielten und sich damit beruhigten, dass all dies ja nur vorübergehend sei.“ (Klaus Rennert, 21f.) In der 2017 gehaltenen Rede des damaligen Präsident des Bundesverwaltungsgerichts Klaus Rennert stand das Recht, das Recht juristische Rechte zu besitzen, im Zentrum. Rechte, die Flüchtlinge erst zur Gänze erhalten, wenn sie ein Aufenthaltsrecht bekommen.

Hannah Arendt (1906-1975), German-American political scientist, c1963. Artist: Unknown

Arendt

„würde aber nicht akzeptieren, wenn der Fremde während dieser Zeit in unzuträglichen Verhältnissen gehalten würde. Und vor allem würde sie einen solchen Zwischenstatus nicht akzeptieren, wenn sein Ende nicht absehbar und vor allem: nahe wäre. […] Andernfalls ist jeder Zwischenstatus inakzeptabel; dann ist es Pflicht des Zufluchtsstaates, dem Fremden Aufnahme zu gewähren, ihn also – wenngleich als Perspektive eines organisierten Prozesses der Integration – wirklich und vollgültig in seine politische Gemeinschaft aufzunehmen“ (Klaus Rennert, 24)

Für die meisten Geflüchteten, die ich kennengelernt habe, geht es vor allem darum, wieder selbstbestimmt zu leben. Hannah Arendt schildert die Klemme die, die Beratung provoziert, sehr ausführlich. Wir Berater:innen gäben „all die guten Ratschläge“, die von den Geflüchteten einen Neuanfang einforden und auf der anderen Seite ist es für unsere Gegenüber wichtig, ihre Identitäten zu bewahren. „[D]ie Erschaffung einer neuen Persönlichkeit ist so schwierig und so hoffnungslos wie eine Neuerschaffung der Welt“, schreibt Arendt, die sich bereits in Deutschland und in Frankreich mit den Themen (jüdische) Identität und Assimilation beschäftigt hatte.

Die Forderung nach Integration ist für mich als Berater umso schwieriger, je unfreundlicher und ungastlicher, sprich rassistischer, unsere Aufnahmegesellschaft wird. Im besten Fall kommen die Neubürger in der Aufnahmegesellschaft an, es kann aber auch zu einer Verfestigung dieses Zwiespalts kommen. „Es ist schön, dass man zwei Heimaten hat, aber es ist emotional schwierig“, beschreibt ein junger Plochinger seine Gefühle für das Foto-Projekt „Angekommen“.

Immer wieder das gleiche

Die Stärke des Textes „Wir Flüchlinge“ von Hannah Arendt ist die Perspektive. Auch wenn sie sich häufig mit dem Kollktiven „wir“ zurücknimmt damit Allgemeines ausdrückt und beschreibt, kommt Hannah Arendt auch als „ich“ vor. Mit der Beschreibung verknüft sie die Analyse und auch wenn viele Aussagen zeitgebunden und damit veraltet sind, lohnt sich die Lektüre.
Auch wenn sie nicht die einzige ist, die aus dem Exil schreibt, ist es diese Mischung, die es ausmacht. Sie schreibt über die Mühen und den Aufwand, die es kostet, anzukommen und sich um mehr zu kümmern als die eigenen Alltagsprobleme.

Nun hat Deutschland im Vergleich zu europäischen Nachbarländern keine ausgeprägte Demokultur, auch wenn die Zahl der Demos ausgerechnet durch die politische rechte wahrscheinlich gestiegen ist. Doch da die Fürsprecher:innen der Geflüchteten in der Minderzahl sind, bleibt ihnen nichts übrig, als auch selbst das Wort zu ergreifen oder in die Öffentlichkeit zu treten. „In den Protesten wird die zugeschriebene Marginalisierung zurückgewiesen, die Zugehörigkeit als Teil der Gesellschaft oder auch als gleichberechtigter Teil der Menschheit postuliert.“

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