Mein Barcelona

Um eine so vielfältige und bunte Stadt wie Barcelona kennenzulernen, bietet sich an, einen Ansatz zu verfolgen. Also habe ich den Tripp unter ein Motto gestellt: Anarchismus.

Katlonien besitzt als Ort des Widerstands gegen den Faschismus und als Ort, an dem der Anarchismus als gesellschaftliches Organisatonsprinzip zeitweise funktioniert hat, eine Faszination. Das hat sicher mit dem Bild der republikanischen Gesellschaft zu tun: „Die Veränderungen erfassten die Produktionsweise, die Lebensweise, erfassten die Art, wie die Leute miteinander umgingen, erfassten die Kleidungsweise. Das war eine ungeheuer umfassende Angelegenheit, die sich relativ spontan und ohne Steuerung von oben entwickelte.“ (Graswurzelrevolution)

Um mich anzunähern hatte ich bereits von zuhause aus eine Stadtführung zum Thema Geschichte des Anarchismus in Barcelona gebucht. Als ein weiterer Annäherungspunkt sollte mir der Besuch des anarchistischen Buchladens La Rosa de Foc helfen, wo ich hoffte, ins Gespräch zu kommen. Und nicht zuletzt wollte ich mich spazierend der Stadt nähern.

Auf diesem prächtigen Place erzählte uns Kevin die Chronik der  anarchistsichen Arbeiterbewegung seit der Internationalen und die Beziehung der Katelan:innen zur Kirche
Auf diesem prächtigen Platz erzählte uns Kevin die Chronik der anarchistsichen Arbeiterbewegung seit der Internationalen und die Beziehung der Katelan:innen zur Kirche.


Folgt man der Herangehensweise unseres Stadtführers Kevin Flanagan, begann der Sonderweg der spanischen Sozialisten schon damit, dass sie von dem Bakunin-Anhänger Giuseppe Fanelli über die Tätigkeit der Internationalen unterrichtet wurden. Dieser stellte seinen Zuhörer:innen natürlich auch die freiheitliche Sichtweise Bakunins vor. Recht bald gründeten sich erst in Madrid und dann in Barcelona Gruppen der ersten Internationalen. Und so stellte Max Nettlau fest:

So war achtzehn Monate nach FANELLIS Reise die spanische Föderation wohlgegründet und man kann nur staunen, wie der selbst des spanischen unkundige Italiener in wenigen Wochen die richtigen Leute zu finden gewusst. B.s Person war nicht hervorgetreten, aber das von ihm formulierte Programm der Alliance entsprach ganz den Wünschen der spanischen Arbeit, denen die Versprechungen der Politiker und die sozialen Reformvorschläge wie blutiger Hohn erschienen.“ (Nettlau, 265)

Im Gegensatz zu Nettlau, der den Einfluss Bakunins nachzeichnete, betonen andere Autor:innen weitere anarchistische Traditionslinien. „Die Philosophie des täglichen Lebenskampfes, der „direkten Aktion“ (Streik, Boykott, Sabotage), trat neben die Auffassung vom Endkampf und bewaffneten Aufstand. Ein Generalstreik hatte stets revolutionären, niemals nur reformistisch-ökonomischen Charakter.“ Die Geschichte des Anarchismus in Spanien wird an anderer Stelle ausführlicher erzählt und eine Nacherzählung ist daher hier nicht nötig.
Neben der Gewalt, die zum Teil als Reaktion auf städtisches Handeln ausgeübt wurde, schufen die Anarchisten vor Ort auch eine Infrastruktur (Bildungs-, Beratungs- und Gesundheitseinrichtungen).

Rechts: Tafel zur Erinnerung an den ermodeten Salvador Seguí i Rubinat. Dieser war ein spanischer Anarchist und Befürworter der Arbeiter:innenbildung, links: Ateneo Enciclopédico Popular: Kultureinrichtung und Bibliothek in El Raval.

1910 wurde die CNT geründet und wurde in Barcelona eine dominierende Kraft, wodurch der Generalstreik in Barcelona bis zum Bürgerkrieg ein durchführbare und erfolgreiche Aktionsform wurden. Diese Stärke und Mobilisierungskraft war auch die Voraussetzung für die erste erfolgreiche Abwehr des Faschismus 1936.
Wenn ich jetzt hier die Geschichte des Anarchismus vor Ort abbreche, dann nicht nur, weil auch der Rückblick von Kevin hier abbrach, sondern auch weil sich hier das für mich interessanteste Merkmal schon gezeigt hatte. Radiaklität – Generalstreik – Abwehrbereitschaft und alltägliche Arbeit bedürfen keiner Arbeitsteilung sondern sind sich ergänzende Aufgaben und haben jeweils ihre Zeit.

Aktivismus und Bücher

Ich habe die Buchläden „La Rosa de Foc“ und „El lokal“ besucht und im letzterem mit den beiden anwesenden Aktiven kurz gesprochen. Beide Läden liegen eher in von Migrant:innen bewohnten Straßenzügen. Das Gebäude mit dem Hinweis auf die „CNT Aid“ beherbergt La Rosa de Foc. Das Innere des Ladens mit den Fotos der Großdemostrationen der CNT, den Plakaten, den schwarz-roten Fahnen und den alten Schreibmaschinen stellt sich eindeutig in die syndikalistische Tradition. Schwarz-rot dominiert – die Farbkombination, die ihren Ursprung in Spanien, der CNT, hat (archive.org). Fremdsprachliche Bücher gibt es auf Engisch und Französisch. Thematisch findet sich das gleiche Spektrum, das auch hier in einem linken Buchhandel bereit steht. Georg Orwell, Hannah Arendt und Walter Benjamin kompletieren das Sortiment. Letzterer wegen der Nähe zum Ort seines Todes.

Die Nachbarschaft des El lokal färbt auch etwas auf die Auslage ab. Free Palästina ist keine Frage, macht die Buchhändlerin auch sehr deutlich. Die Zurückhaltung der deutschen Bekannten verstehe sie, aber in Barcelona sei das keine Frage. Am Tag darauf sei eine Demo und am Samstag auch. Im El Lokal ist die Auswahl an Musik größer und anders als im La Rosa gibt es T-Shirts und Hoodies.

Als ich am nächsten Tag, dem 3. Oktober, wieder Richtung La Rosa de Foc unterwegs war, sammelte sich gerade die angekündigte Demo und auch viele CNT-Fahnen hingen wie die anderen an ihren Stangen. Für die Flaute können allerdings selbst Anarchisten nichts.

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